Dienstag, 1. Juli 2008

Back again

DIE LETZTE ETAPPE war spannend: Am Donnerstag sollte mein Flug von Managua nach Atlanta gehen, am Freitag stand der Flug von dort nach Frankfurt an. In Ocotal brachen Bélgica, Julian, Osman und ich sehr früh auf: Ein paar Kilometer südlich von Ocotal wird die Panamericana von demonstrierenden Bauern blockiert, sodass wir ein großes Zeitpolster einplanten für die Fahrt nach Managua: Wegen dieser Bauern wollte ich meinen Flug nicht verpassen!

Um neun Uhr morgens stand ich dann am Schalter von Delta Airlines, um mir meinen Boardingpass geben zu lassen und um das Gepäck einzuchecken: Um kurz vor eins sollte mein Flug starten. Am Schalter schaute man mich etwas überrascht an und gab mir zu verstehen, dass mein Flieger Managua bereits um acht Uhr morgens verlassen hatte - Delta Airlines hätten ihren Zeitplan geändert. Ich war zunächst sehr erschrocken, rief dann aber eine Hotline an, bei der man mir gleich helfen und den Flug für Freitagmorgen umbuchen konnte. Dennoch hatte ich die Sorge, meinen Anschlussflug in Atlanta zu verpassen; trotz des dreistündigen Aufenthaltes.

Die Nacht verbrachte ich mit den dreien, die mich nach Managua begleitet und dort Einkäufe für den Zirkus erledigt hatten, und meiner Gastcousine Laura Segovia in einem Hotel gegenüber vom Flughafen. Am nächsten Morgen ging es um vier an den Flughafen, um auch ja kein Risiko einzugehen.

Später hieß es adios - ein komischer Moment! Und dann saß ich auch schon im Flieger...

In Atlanta ging alles gut, ich hatte mehr Zeit als nötig und erreichte meinen Flieger überpünktlich. Das Gefühl beim Start der Maschine war etwas komisch: Beim nächsten Kontakt mit festem Boden würde ich schon in Deutschland sein! Nach neun Stunden, guter Musik, einem guten Film, leckerem Flugzeugessen, vielen Wolken von oben und ein wenig Schlaf landete Delta Flug vierzehn um acht Uhr acht in Frankfurt. Ich wartete nur kurz, bis die Koffer auf meinem Gepäckwagen standen, kam aus der Sicherheitszone heraus - und sah meine Brüder, die bei meinem Anblick ersteinmal herzlich lachen mussten.

Nach Hause ging es in der S-Bahn. Die Überraschung seitens der Eltern war nicht übermäßig groß - man hatte mich schon fast erwartet. Es war und ist schön, wieder daheim zu sein. Bei der Familie und bei den Freunden.

Dienstag, 24. Juni 2008

Abrechnung

BIN ICH ZUFRIEDEN? Die offizielle Verabschiedung hat schon stattgefunden – weil man sich hinsichtlich meines Abreisedatums geirrt hatte. Bald wird auch in der Gastfamilie gefeiert und verabschiedet: Viel Zeit bleibt mir nicht mehr in Nicaragua! Und weil das Ende meines Anderen Dienstes im Ausland schon so nah ist, ist es Zeit, über die eingangs gestellte und für mich entscheidende Frage nachzudenken.

Werde ich in den kommenden Tagen mit einem guten Gewissen, mit der Sicherheit, gute Arbeit geleistet und etwas erreicht zu haben, in den Flieger einsteigen? Während der letzten zwölf Monate habe ich mir immer wieder gesagt, dass dies der entscheidende Moment werden würde: Wenn ich am Flughafen oder im Flugzeug merke, dass ich irgendetwas nicht erledigt habe, was ich hätte erledigen können und wollen, ist es zu spät!

Zu Beginn meiner Arbeit hatte ich ein paar Schwierigkeiten: Es war gar nicht so schlimm hier, wie ich es erwartet hatte nach all den Erzählungen und Kommentaren, um es einmal ganz salopp zum Ausdruck zu bringen. Die Not hier ist, vor allem im Stadtzentrum, in dem ich lebe und in dem auch die Bücherei sich befindet, nicht so leicht zu sehen. In der Bücherei sind hauptsächlich Schulkinder anzutreffen – Straßenkinder stehen nicht auf der Tagesordnung. Und die Arbeit in der Bücherei wurde und wird von Juve, Bélgica, teilweise auch von Nelsy und Carmen gut erledigt. Ziemlich bald fragte ich mich also: Was mache ich hier eigentlich?

Mit den Tagen, Wochen und Monaten, die ins Land zogen, gewöhnte ich mich an die Situation. Ich fand mich damit ab, nicht jeden Tag mit den schlimmsten Fällen von Armut konfrontiert zu werden – und bin im Nachhinein nicht unglücklich mit dieser Wendung. Ich gewöhnte mich an den Gedanken, in der Bücherei nicht die Welt zu retten. Dafür gab es ja andere Aufgaben: Organisation! Das ist nicht gerade die Stärke der Nicas, sodass ich mich auf diesem Gebiet gut einbringen konnte – nun hoffe ich, dass ich Spuren hinterlassen habe. Zirkus! Ein Angebot für die Kinder und Jugendlichen ist an sich schon eine Seltenheit. Und im Zirkus Ocolmena haben die Teilnehmer attraktive Ziele, wie zum Beispiel die Reise nach Deutschland, die im Herbst stattfinden wird!

Außerdem hatte ich ja diverse kleine Projekte: Die Besuche in der casa materna, bei denen ich immer wieder mit erschreckenden Schicksalen konfrontiert wurde. Die Stunden in Nuevo Amanecer, einem der äußeren barrios Ocotals – dort ist die Armut nicht zu übersehen. Und die Kinder freuen sich einfach über den Besuch eines cheles, der noch dazu ein paar Geschichten im Gepäck hat! Die domingos culturales, die wegen Uhrzeit und Tag zwar immer etwas zweifelnd betrachtet wurden – die Kinder freuten sich jedoch immer über diese Aktivitäten und gaben uns damit ein gutes Gefühl! Und nicht zuletzt die Fahrten zur Kaffeefinca Las Gaviotas...

Wie sieht es also aus mit meiner Zufriedenheit? Ich glaube, ich werde mit einem guten Gefühl in den Flieger steigen: Wegen der erwähnten Freude der Kinder über die gemeinsam verbrachte Zeit. Wegen der Kinder und Jugendlichen, die sich nun auf einen Deutschlandurlaub freuen können. Und weil ein paar Kinder sich tatsächlich weiterentwickelt haben: In ihren Familien, ohne die Bücherei wäre das nur sehr bedingt möglich gewesen!

Ich freue mich also, dass während meines Aufenthaltes Fortschritte zu erkennen waren. Dennoch kann ich nicht abstreiten, dass ich wohl die Person bin, die den größten Nutzen aus all diesen Erfahrungen ziehen kann: Ich habe eine neue Kultur kennengelernt, andere Lebensverhältnisse, viele Menschen und deren Schicksale. Ich spreche nun spanisch und habe mich persönlich hoffentlich weiterentwickelt – es liegt an euch, letzteres einzuschätzen.

Das Jahr geht nun vorbei und ich freue mich und bin erleichtert, mit einem überwiegend guten Gefühl gehen zu können. (Den folgenden Satz würde ich ja gerne weglassen, um das Ende positiver klingen zu lassen – aber nicht allein durch Odo Marquardt kam ich auf den Gedanken, dass Skepsis etwas Gutes ist.) Dennoch: Sicherlich hätte ich noch viel mehr tun können!

Sonntag, 22. Juni 2008

Restprogramm

„GANZ SCHLECHTES TIMING!“, dachte ich, als ich am Mittwochmorgen krank aufwachte: Mein Bauch machte seine Arbeit nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Daher hatte ich schon Angst, mir wieder Parasiten eingefangen zu haben – das hätte für mich die Einnahme von Tabletten bedeutet. Über den Zeitraum von einer Woche. Und damit den Verzicht auf Alkohol. Letzteres ist im Normalfall ja nicht schlimm, aber die Aussicht, das Viertelfinale, das letzte Wochenende und die letzten Abende ganz ohne ein alkoholisches Getränk verbringen zu müssen, hat mich doch ein wenig gestört.

Nachdem ich den Mittwoch größtenteils und den Donnerstagmorgen ganz im Bett verbracht hatte, ging es mir aber wieder gut. Der Bauch arbeitete besser, das Fieber war verschwunden, nur der Kopf tat noch weh. Doch auch das verbesserte sich schnell, sodass ich am Freitag wieder fit war.

Das war wichtig: Es ging morgens mit Julian und sechs Jungs vom Zirkus zum Cañón de Somoto. Dieser Canyon befindet sich rund neunzig Busminuten östlich von Ocotal, zwischen Somoto und El Espino. Dort hat sich der Río Coco, der längste Fluss des Landes, der Ocotal im Süden flankiert, durch die Felsen gefressen und eine tiefe Schlucht hinterlassen; steile Felswände erheben sich rechts und links des Stromes einige zig Meter, dazwischen kann man sich schwimmend bewegen. Abenteuerlich! Obwohl unsere Gruppe wirklich übersichtlich war und zwei der Jungs von ihren Müttern keine Erlaubnis bekommen hatten, ins Wasser zu gehen – sehr sinnvoll! –, wurde es doch spannend: Mit den vier verbleibenden wagte ich mich in den Canyon hinein. Wissend, dass zwei von ihnen nicht schwimmen konnten. An einer Stelle mussten wir das Wasser dennoch überqueren, die Stelle war knapp zwei Meter breit. Die ersten beiden, die Schwimmer, sprangen ins kühle Nass und erreichten den Stein an der anderen Seite mit einem Zug. Fernando, einer der beiden Nichtschwimmer, war überzeugt, das auch zu schaffen. Sprang – und wurde direkt von der eigentlich kaum spürbaren Strömung mitgenommen. Everth stützte ihn, schwamm mit ihm, ich kletterte ein paar Meter stromabwärts und zog Fernando aus dem Wasser. Davon hatte der Ärmste schon viel geschluckt und war sichtlich erschrocken. Der zweite Nichtschwimmer, Osman, sollte es dann gar nicht erst versuchen mit der Überquerung des Flusses. Verständnis hatte er nicht, aber das war mir egal.

Am Ende hatten wir dennoch einen ziemlich netten Tag am Canyon, auch Fernando hatte noch genug Spaß, um den Schreck zu überwinden.

Samstags stand ein weiteres Abenteuer an: Wir wollten den Cerro Picudo besteigen! Dieses Vorhaben scheiterte bereits vor einigen Monaten, als Johannes, Arnau, Antonia, Bélgica und ich auf diesen Berg wandern wollten. Weil der jedoch von fast jedem Ort in Ocotal wunderbar zu sehen ist, habe ich seitdem das Gefühl, dass er sich ein wenig über uns lustig macht – und hatte mir fest vorgenommen, ihn vor meiner Abreise doch noch zu bezwingen! Schließlich wurde die Idee jedoch verworfen: Ich hatte keine Lust, so früh aufzustehen, außer Bélgica und mir war niemand motiviert – und ich wollte mich noch ein wenig schonen...

Am Sonntag steht meine letzter domingo cultural an, in Nuevo Amanecer. Danach gehen Julian und ich mit Don Mateo fischen: Das habe ich seit einer Ewigkeit vor! Und ab Montag heißt es dann, ganz langsam: Abschied nehmen!

Mittwoch, 18. Juni 2008

Endspurt

DAS LETZTE MAL waren Julian und ich heute bei den Gaviotas: Mit viel Geld für Irma im Gepäck – für Stipendien für einige Schülerinnen und Schüler und für „Schulpakete“, also für all das, was man für den Unterricht braucht: Stifte, Hefte, Rucksack...

Irma war nicht da, sodass wir, wieder einmal, unverrichteter Dinge zurück nach Ocotal fuhren. Zuvor redeten wir aber ein paar Worte mit einem der Kinder in der Finca: Der Junge sieht schlimm aus, hat irgendeine Hautkrankheit und daher verkrustete und blutige Ohren. Julian und ich sind im ersten Moment richtig erschrocken!

In Ocotal lief uns, ganz zufällig, Irma über den Weg. So wurde ich das ganze Geld los und konnte erfahren, dass der Junge zwar Medikamente bekommen würde – die scheinen nur einfach nicht zu wirken. Immerhin habe das Kind keine Schmerzen, sagt es.

Ja – das letzte Mal! Bevor es am Donnerstag das letzte Mal eine Sendung von Rockotal FM mit Julian und mir gibt (um drei Uhr nachts deutscher Zeit: unbedingt den live-Stream auf der Homepage des Senders anhören!), geht es das letzte Mal in die casa materna. Am Samstag werde ich wohl das letzte Mal Nacatamal essen. Am das letze Mal Fußball im polideportivo spielen und
das letzte Mal elmex gelée benutzen – die kleine Tube, fünfundzwanzig Milligramm, reichen tatsächlich ein ganzes Jahr! Und dann, sehr bald, geht es das letzte Mal in die Bücherei – eine halbe cuadra nach Osten, eine in den Süden, zwei weitere in den Osten und noch einmal anderthalb in den Süden. Es ist schon wahnsinnig, wie rasant dieses Jahr vorüberging! Und das sage nicht nur ich – auch Ana Julia wiederholt das in letzter Zeit, beinahe ungläubig.

In der Familie werde ich momentan ziemlich verwöhnt: Es gibt nun mehr Gallo Pinto, fast täglich plátanos fritos und Käse dazu. Und die Stimmung ist sehr angenehm – allerdings muss ich dazu sagen, dass ich zur Zeit gar nicht oft im Haus bin: Entweder bin ich in der Bücherei oder bei Julian – dort sitzen dessen Gastvater José Alfredo und ich in der Mittagspause, um Fußball zu schauen. (Sicherlich schütteln ein paar Leser nun den Kopf: Da ist er in Nicaragua, am (anderen) Ende der Welt – und schaut sich die Europameisterschaft an! Ist dem noch zu helfen?)

Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe: Es geht mir gut! Nun steht mir ein ordentliches Restprogramm bevor, von dem ich bald mehr schreiben werde! Langweilig wird mir jedenfalls nicht...

Montag, 9. Juni 2008

Da war doch noch was...

ES IST ZEIT, den kleinen Fragenkatalog abzuarbeiten: Heute: Was werde ich am meisten vermissen, wenn ich wieder in Deutschland bin? Strom- und Wasserausfälle werden es nicht sein. Ebensowenig Kakerlaken und Riesenheuschrecken. Die hier wahnsinnig beliebten Baseballmützen kann ich nicht mehr sehen und private Müllverbrennung konnte ich einfach nicht ins Herz schließen. Das hört sich schrecklich negativ an – aber es gibt durchaus Dinge, die mir fehlen werden...

Die wären zunächst ein paar von den Kindern, die im Herbst nicht nach Deutschland kommen werden: Die werde ich möglicherweise nie mehr sehen. Das ist schon komisch: Ein paar von ihnen wurden im Laufe des (fast) vergangenen Jahren wie kleine Freunde – und bald heißt es Abschied nehmen!

Mein Verhältnis mit der Gastfamilie war nie von Zuneigung geprägt. Wir haben uns arrangiert und ab und zu nette gemeinsame Momente gelebt. Ob ich meine Gastfamilie aber vermissen werde, wenn ich in Deutschland bin? Ich werde es beim Abschied wissen!

Es tut mir jetzt schon weh, wenn ich daran denke, mit wem ich in Deutschland spanisch sprechen können werde: Die sieht es ganz mau aus! Die Sprache wird mir fehlen – hoffentlich verlerne ich sie nicht allzuschnell. Der gute alte Gallo Pinto ist auch nicht zu verachten – und in Deutschland werde ich sicherlich ab und an Lust nach dieser „plato típico nicaragüense“ verspüren.

Ein Leben weitestgehend ohne Organisation ist nicht das, was ich in Zukunft haben möchte. Der deutsche Planungswahn ist es aber auch nicht. Irgendwie wird mir die Ruhe fehlen, mit der man sein Leben hier lebt! Obwohl Sorgen durchaus angebracht sind, bestimmen sie die Gedanken der Menschen nicht. Auch ich habe gelernt, mehr durch sehen als durch erleben: Es geht weiter – egal, wie düster es aussieht! Ich hoffe, mir einen kleinen Teil dieser Sorglosigkeit mitnehmen und konservieren zu können.

Ansonsten gibt es sicherlich noch viele andere Dinge, die mir fehlen werden – um mir dessen bewusst zu werden, werde ich aber erst deutschen Boden betreten müssen. Und dann sollte ich mich daran erinnern, was ich während meines Jahres hier in Nicaragua vermisst habe: Das ist auch nicht wenig. Egal, wo ich bin: Niemals werde ich alles haben können! Was ich also noch lernen muss, ist: Zufrieden sein. Egal, ob in Nicaragua oder in Deutschland.