Dienstag, 24. Juni 2008

Abrechnung

BIN ICH ZUFRIEDEN? Die offizielle Verabschiedung hat schon stattgefunden – weil man sich hinsichtlich meines Abreisedatums geirrt hatte. Bald wird auch in der Gastfamilie gefeiert und verabschiedet: Viel Zeit bleibt mir nicht mehr in Nicaragua! Und weil das Ende meines Anderen Dienstes im Ausland schon so nah ist, ist es Zeit, über die eingangs gestellte und für mich entscheidende Frage nachzudenken.

Werde ich in den kommenden Tagen mit einem guten Gewissen, mit der Sicherheit, gute Arbeit geleistet und etwas erreicht zu haben, in den Flieger einsteigen? Während der letzten zwölf Monate habe ich mir immer wieder gesagt, dass dies der entscheidende Moment werden würde: Wenn ich am Flughafen oder im Flugzeug merke, dass ich irgendetwas nicht erledigt habe, was ich hätte erledigen können und wollen, ist es zu spät!

Zu Beginn meiner Arbeit hatte ich ein paar Schwierigkeiten: Es war gar nicht so schlimm hier, wie ich es erwartet hatte nach all den Erzählungen und Kommentaren, um es einmal ganz salopp zum Ausdruck zu bringen. Die Not hier ist, vor allem im Stadtzentrum, in dem ich lebe und in dem auch die Bücherei sich befindet, nicht so leicht zu sehen. In der Bücherei sind hauptsächlich Schulkinder anzutreffen – Straßenkinder stehen nicht auf der Tagesordnung. Und die Arbeit in der Bücherei wurde und wird von Juve, Bélgica, teilweise auch von Nelsy und Carmen gut erledigt. Ziemlich bald fragte ich mich also: Was mache ich hier eigentlich?

Mit den Tagen, Wochen und Monaten, die ins Land zogen, gewöhnte ich mich an die Situation. Ich fand mich damit ab, nicht jeden Tag mit den schlimmsten Fällen von Armut konfrontiert zu werden – und bin im Nachhinein nicht unglücklich mit dieser Wendung. Ich gewöhnte mich an den Gedanken, in der Bücherei nicht die Welt zu retten. Dafür gab es ja andere Aufgaben: Organisation! Das ist nicht gerade die Stärke der Nicas, sodass ich mich auf diesem Gebiet gut einbringen konnte – nun hoffe ich, dass ich Spuren hinterlassen habe. Zirkus! Ein Angebot für die Kinder und Jugendlichen ist an sich schon eine Seltenheit. Und im Zirkus Ocolmena haben die Teilnehmer attraktive Ziele, wie zum Beispiel die Reise nach Deutschland, die im Herbst stattfinden wird!

Außerdem hatte ich ja diverse kleine Projekte: Die Besuche in der casa materna, bei denen ich immer wieder mit erschreckenden Schicksalen konfrontiert wurde. Die Stunden in Nuevo Amanecer, einem der äußeren barrios Ocotals – dort ist die Armut nicht zu übersehen. Und die Kinder freuen sich einfach über den Besuch eines cheles, der noch dazu ein paar Geschichten im Gepäck hat! Die domingos culturales, die wegen Uhrzeit und Tag zwar immer etwas zweifelnd betrachtet wurden – die Kinder freuten sich jedoch immer über diese Aktivitäten und gaben uns damit ein gutes Gefühl! Und nicht zuletzt die Fahrten zur Kaffeefinca Las Gaviotas...

Wie sieht es also aus mit meiner Zufriedenheit? Ich glaube, ich werde mit einem guten Gefühl in den Flieger steigen: Wegen der erwähnten Freude der Kinder über die gemeinsam verbrachte Zeit. Wegen der Kinder und Jugendlichen, die sich nun auf einen Deutschlandurlaub freuen können. Und weil ein paar Kinder sich tatsächlich weiterentwickelt haben: In ihren Familien, ohne die Bücherei wäre das nur sehr bedingt möglich gewesen!

Ich freue mich also, dass während meines Aufenthaltes Fortschritte zu erkennen waren. Dennoch kann ich nicht abstreiten, dass ich wohl die Person bin, die den größten Nutzen aus all diesen Erfahrungen ziehen kann: Ich habe eine neue Kultur kennengelernt, andere Lebensverhältnisse, viele Menschen und deren Schicksale. Ich spreche nun spanisch und habe mich persönlich hoffentlich weiterentwickelt – es liegt an euch, letzteres einzuschätzen.

Das Jahr geht nun vorbei und ich freue mich und bin erleichtert, mit einem überwiegend guten Gefühl gehen zu können. (Den folgenden Satz würde ich ja gerne weglassen, um das Ende positiver klingen zu lassen – aber nicht allein durch Odo Marquardt kam ich auf den Gedanken, dass Skepsis etwas Gutes ist.) Dennoch: Sicherlich hätte ich noch viel mehr tun können!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Simon,
ob Du zufrieden sein wirst, wird sich womöglich erst im Lauf der Zeit herausstellen. Auf alle Fälle wirst Du noch lange davon zehren und Du wirst sehr viel gelernt haben, was Du Dein Leben lang brauchen kannst. Ist nicht das allein schon Grund genug, zufrieden zu sein?
Ich wünsche Dir eine gute Heimreise und freue mich auf unser Wiedersehen (wann auch immer das sein wird, Du Geheimniskrämer!!).
Es grüßt Dich Deine »echte« Mutter

Helena hat gesagt…

neulich habe ich einen interessanten artikel gelesen über die frage, was diese ganzen auslandsaufenthalte mit dem titel "entwicklungshelfer" eigtl bringen. der wurde so um die zeit geschrieben als das mit dem weltwärts- programm anfing und hat mich schon ein bisl nachdenklich gestimmt. wenn so ein aufenthalt, der inzwischen ja komplett finanziert werden kann, letztendlich fast nur uns etwas bringt, dann müssten doch auch die jugendlichen der anderen länder die chance haben, so etwas zu machen. nur sollte man das ganze nicht mehr darunter verkaufen, dass es der entwicklung der länder hilft. wennste willst, schick ich ihn dir mal. genieß deine letzen tage! ich denk an dich. lg, helena