Dienstag, 31. Juli 2007

Bedenken

WIR BEKAMEN BESUCH, das heißt Johannes bekam Besuch von einem deutschen Freiwilligen, der in einem Haus für Migranten in Mexico arbeitet. Diese Begegnung hat mich sehr nachdenklich gestimmt und beschäftigt mich nach wie vor.

Am Samstagnachmittag kamen Lukas und sein Kollege, der US-Amerikaner Kevin, der seit rund zwei Monaten ebenfalls in diesem Migrantenprojekt arbeitet, nach Ocotal, um Johannes einen kurzen Überraschungsbesuch abzustatten. Die beiden waren zuvor in Honduras unterwegs, wo sie Migrantenfamilien besuchten. Nachdem in der Nähe des Hauses, in dem sie arbeiten, einer von zehn Migranten, die auf den Eisenbahnschienen geschlafen hatten, nicht rechtzeitig aufstehen konnte und vom Zug erfasst und getötet wurde, bestand die Familie des Verstorbenen darauf, den Leichnam des Sohnes zurückzubekommen. Mit der Urne, in der die Asche der sterblichen Überreste des Mannes aufbewahrt wurde, machten sich Lukas und Kevin auf den Weg nach Honduras. Ohne seelsorgerische Ausbildung oder sonstige Erfahrungen, die ihnen die Begegnung mit den Eltern des Unfallopfers leichter gemacht hätten, begegneten sie den Angehörigen, trauerten mit ihnen und erlebten emotionalste Augenblicke.

Wie Lukas das Erlebte wiedergab, war beeindruckend und ergreifend. Beneiden tue ich ihn ob dieser Mission nicht. Und dennoch sehne ich mich seitdem nach etwas, das ich hier nicht habe und das ich auch nicht gut beschreiben kann – hier arbeite ich in einem vergleichsweise behüteten Umfeld, was durch den Besuch der Gruppe aus Köln natürlich noch verstärkt wurde; nachdem im Vorfeld meines Einsatzes und im Laufe der Vorbereitungen immer wieder gesagt wurde, dass Nicaragua eins der ärmsten Länder Lateinamerikas sei, dass soziale Ungleichheit und soziale Probleme nicht zu übersehen seien, dass viele Menschen ohne das Nötigste zum Leben auskommen müssten, habe ich von alldem noch nicht sehr viel miterleben müssen. Glücklicherweise einerseits, andererseits bin ich – denke ich – auch hier, um den von diesen Problemen direkt betroffenen Menschen zu helfen. Und das sind nicht die, die in die Bücherei kommen, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, zu spielen und zu lesen (wobei auch die Unterstützung benötigen bei dem, was sie tun – und tun sollen!).

Inzwischen habe ich mir einige Gedanken gemacht, wie ich meine Arbeit so gestalten kann, dass ich auch das tun kann, was ich mir so wünsche und was mich erfüllen würde. In den kommenden Tagen werden wir in der Bibliothek ohnehin über anstehende Projekte sprechen und über die kurz- und langfristigen Ziele unserer Arbeit, sodass ich meine Ideen einbringen kann. Sobald ich dann mit den Verantwortlichen von INPRHU und mit Nueva Nicaragua gesprochen haben werde, folgen an dieser Stelle weitere Informationen!

3 Kommentare:

Marbod hat gesagt…

Du wirst dich noch wundern, wenn du die Kinder, mit denen du arbeitest genauer kennenlernen wirst. Sie sind so sauber und adrett gekleidet, dass man ihnen nicht ansieht, aus welchen Hütten und schlimmen Familienverhältnissen sie stammen. Du solltest aber nicht vergessen, dass die Toten an der mexikanischen Grenze, gerade aus diesem Elend stammen und dass es unter anderem darum geht, ihnen andere Perspektiven zu geben. Mir jedenfalls reicht das Elend in Ocotal und deswegen sind so "behütete" Orte, wie die Bibliothek und die Casitas so wichtig.

Anonym hat gesagt…

Hi Simon,
Du hast Dich lange auf dieses Jahr vorbereitet und viele Erwartungen in Deinem Gepäck mitgenommen. Ich kann verstehen, wenn Du manchmal enttäuscht bist, wenn Dinge anders laufen oder sich entwickeln als Du Dir das vorgestellt hast. Aber ist es nicht wichtiger, sich der Realität und ihren Herausforderungen zu stellen als die Realität an die eigenen Wünsche anpassen zu wollen?
Deine Aufgaben haben (hoffentlich) mehr präventiven als heilenden Charakter: dass Du Kindern hilfst, nicht als Elende auf einer Eisenbahnschiene zu landen, sondern dass sie die Kurve schon vorher kriegen.
Liebe Grüße aus Bremthal von Deiner MiMaMutter

Anonym hat gesagt…

Vom Herrschen und vom Dienen (»Die Söhne des Zebedäus«)
(Mk 10,35-45)

(20) Da trat zu ihm die Mutter der (a) Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen, fiel vor ihm nieder und wollte ihn um etwas bitten. (21) Und er sprach zu ihr: Was willst du? Sie sprach zu ihm: Laß diese meine beiden Söhne sitzen in deinem Reich einen zu deiner Rechten und den andern zu deiner Linken. (22) Aber Jesus antwortete und sprach: Ihr wißt nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie antworteten ihm: Ja, das können wir. (23) Er sprach zu ihnen: Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben, steht mir nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von meinem Vater. (24) Als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über die zwei Brüder. (25) Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. (26) So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; (27) und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, (28) so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Mt 20,20-28